Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung soll bis 2020 Vorgaben zur Mindestpersonalbesetzung in der Krankenhauspsychiatrie erarbeiten. Nun kritisieren die Unterzeichner des Offenen Briefs an Jens Spahn, das Verfahren beim G-BA sei „intransparent“ und würde ausgerechnet die Beschäftigten nicht einbinden.
Der Vorwurf: Beschäftigte über laufendes G-BA-Verfahren im Bilde
Die Betriebs- und Personalräte von psychiatrischen Krankenhäusern und Fachabteilungen würden mit „großer Sorge“ die bisherige Entwicklung beobachten, heißt es in dem Offenen Brief der Mitarbeitervertretungen, der pflege-online vorliegt. Die unmittelbar betroffenen Beschäftigten würden über das laufende Verfahren nicht informiert, zudem sei weiterhin völlig unklar, wie die neuen Mindeststandards beim Personal (gemeint ist hier das gesamte medizinisch-therapeutische Personal) praktisch aussehen können und nach welchen Kriterien diese erstellt würden.
Brief auch an Gerald Gaß von der DKG gerichtet
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„Es besteht Grund zur Sorge, dass der G-BA seinem Auftrag nicht gerecht wird“, heißt es in dem Papier, das außer an Jens Spahn unter anderem auch an die Vorsitzenden von Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG), des GKV-Spitzenverbandes sowie an Elisabeth Pott als neues unparteiisches Mitglied im G-BA gerichtet ist.
Hintergrund des Protestbriefes ist das 2016 verabschiedete Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung in Psychiatrie und Psychosomatik (PsychVVG). Ein Kernstück des Gesetzes ist die Vorgabe, dass es am 1. Januar 2020 neue verbindliche Personalmindeststandards in der Krankenhauspsychiatrie geben soll. Deshalb hat der Gesetzgeber den G-BA Ende 2016 beauftragt, bis September 2019 verbindliche Mindestvorgaben für die Personalbemessung in stationären psychiatrischen Einrichtungen zu arbeiten.
G-BA-Reaktion auf den Offenen Brief
Tatsächlich bestätigt der Gemeinsame Bundesausschuss auf Anfrage von pflegen-online, dass Arbeitnehmervertretungen an den Fachgesprächen nicht beteiligt werden. „Wer genau vom G-BA an welchem Verfahren zu beteiligen ist, regelt nicht der G-BA selbst, sondern der Gesetzgeber. In der Anhörung zum PsychVVG wurde die Notwendigkeit einer Beteiligung einer Arbeitnehmerorganisation an dem Verfahren von gewerkschaftlicher Seite dargestellt. Dies wurde im Gesetz nicht berücksichtigt“, sagt das neue unparteiisches G-BA Mitglied Prof. Dr. Elisabeth Pott, zuständig für den Bereich Qualitätssicherung.
An den Fachgesprächen zu verschiedenen Themenschwerpunkten nähmen jedoch Experten teil. Etwa, wenn es um Demenzen, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik gehe. Die Experten würden überwiegend von den Bänken, Patientenvertretern und Beteiligten vorgeschlagen und in den Gremien des G-BA abgestimmt. „Zu den regelhaft Beteiligten gehört der Deutsche Pflegerat“, so Elisabeth Pott.
Studie zu Ist-Zustand in Psychiatrien
Seit 2017 befragt der G-BA dazu nach eigenen Angaben Fachleute aus unterschiedlichen Versorgungsbereichen. Zudem ermittelt im Auftrag des G-BA Prof. Hans-Ulrich Wittchen von der Technischen Universität Dresden den aktuellen Ist-Zustand beim Personal in psychiatrischen Einrichtungen. Die Ergebnisse der Studie werden vermutlich Ende des Jahres vorliegen und sollen mit in die Entscheidungsfindung des G-BA einfließen.
Gewalt gegen Personal nimmt zu
Bislang werden Personalvorgaben für den therapeutischen, ärztlichen und pflegerischen Personalbedarf in der seit 1991 gültigen Psychiatrie Personal Verordnung (PsychPV) geregelt. Allerdings decke diese die gestiegenen Anforderungen an die Versorgung psychisch kranker Patienten „und damit den eigentlichen Personalbedarf nicht mehr ab“, schreiben die Briefautoren. Schon heute sind in der PsychPV nicht genügend Kapazitäten vorgesehen, um notwendige und inzwischen in vielen Fällen gesetzlich vorgesehene 1:1-Betreuungen umsetzen zu können. Das hat Folgen für Personal und Patienten gleichermaßen, wie Gisela Neunhöffer schildert. Sie betreut bei Verdi den Bereich psychiatrische Einrichtungen.
Wird es wieder Zwangsmaßnahmen geben?
Dort wird inzwischen eine Zunahme von Gewalt und Aggressionen gegen das Personal beobachtet, für die Neunhöffer auch die personelle Unterbesetzung verantwortlich macht. „Wenn es nicht genügend Personal gibt, wächst aus der Not der Zahl der Zwangsmaßnahmen gegenüber den Patienten“, schildert sie. Kurz: Patienten müssten notfalls häufiger fixiert werden. „Wollen wir das? Wollen wir einen Rückfall in die Verwahrpsychiatrie früherer Zeiten“, fragt sie.
Mitarbeitervertretungen wie auch Verdi beunruhigen Äußerungen wie von Gerald Gaß, dem Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Der hatte bei der Vorstellung des aktuellen Psychiatrie-Barometers - einer regelmäßigen Umfrage der DKG zur Situation in der Psychiatrie - gemahnt, den wachsenden Fachkräftemangel bei der Festlegung von Mindestvorgaben zu beachten.
In fast jeder zweiten Psychiatrie fehlen Pflegekräfte
So haben laut DKG derzeit 45 Prozent aller befragten psychiatrischen Kliniken Schwierigkeiten, offene Stellen im Pflegedienst zu besetzen. Deshalb müssten „objektive Stellenbesetzungsunmöglichkeiten akzeptiert werden, sonst kollabiert die Versorgung“, warnte Gaß. Für die Mitarbeitervertretungen wie auch für Verdi zäumt Gaß jedoch das Pferd von der falschen Seite auf. „Wir müssen doch erstmal darüber reden, wie viel Personal wir für eine gute Versorgung der Patienten brauchen. Dann können wir uns Gedanken machen, wie wir das umsetzen“, sagt Neunhöffer.
Die neuen Mindestvorgaben beim Personal müssen deshalb aus Sicht der Betriebs- und Personalräte die Aufgaben „aller medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen – auch und gerade der Pflege – berücksichtigen und die Einhaltung der Arbeitsnehmerschutzrechte ermöglichen“.
Welche Kliniken sind mit dabei?
Unter anderem haben die Personalräte beziehungweise Betriebräte folgender Kliniken unterschrieben:
Uniklinik Ulm
Uniklinik Leipzig
Uniklinik Frankfurt am Main
Uniklinik Würzburg (nicht wissenschaftlicher Personalrat)
Uniklinik Freiburg (nicht wissenschaftlicher Personalrat)
UKE in Hamburg (nicht wissenschaftlicher Personalrat)
Westklinikum in Hamburg (Asklepios)
Klinikum Nord in Hamubrg (Asklepios)
Agaplesion Diakonieklinikum Rothenburg
Carl-Thiem-Klinikum Cottbus
Ameos Klinikum Osnabrück
Ameos Klinikum Dr. Heines Bremen
Autor: Guntram Doelfs